Gesundheit & PflegeUnterstützung für pflegende AngehörigeWie du einen Pflegeantrag stellst – Schritt für Schritt

Wie du einen Pflegeantrag stellst – Schritt für Schritt

Von der Überforderung zur Klarheit – dein Weg zur Pflegeleistung

Der Moment, in dem man merkt: „Ich schaffe das nicht mehr alleine“ – ist oft ein stiller, aber tiefer Einschnitt. Vielleicht merkst du, dass dein Vater sich kaum noch alleine versorgen kann. Oder deine Partnerin nach einem Krankenhausaufenthalt rund um die Uhr Unterstützung braucht. Dann ist es Zeit zu handeln – und einen Pflegeantrag zu stellen.

Doch genau an diesem Punkt beginnt oft der Frust. Denn: Der Weg durch den Pflege-Dschungel wirkt für viele erstmal wie ein Hindernislauf. Formulare, Fristen, Begutachtungen – wo anfangen? Keine Sorge. Hier bekommst du eine klare, einfache Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie du einen Pflegeantrag stellst – verständlich, herzlich und mit dem Wissen, das du wirklich brauchst.

Schritt 1: Verstehen, was ein Pflegegrad bedeutet

Bevor du überhaupt loslegst, ist wichtig zu wissen: Pflegeleistungen bekommst du in Deutschland nicht einfach so. Es braucht einen sogenannten Pflegegrad – der bestimmt, wie viel Unterstützung jemand braucht und welche Leistungen er bekommt.

 

Es gibt insgesamt fünf Pflegegrade:

  • Pflegegrad 1: Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
  • Pflegegrad 2: Erhebliche Beeinträchtigung
  • Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigung
  • Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigung
  • Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen an die Pflege

Je höher der Pflegegrad, desto mehr Leistungen gibt es – etwa Pflegegeld, Pflegesachleistungen, Hilfsmittel oder Entlastungsangebote.

Schritt 2: Den Pflegeantrag stellen – so geht’s

Der Antrag selbst ist schnell gemacht – das Entscheidende ist, dass du ihn schriftlich stellst. Am besten gleich bei der Pflegekasse der betroffenen Person. Die Pflegekasse ist immer bei der Krankenkasse angesiedelt, z. B. AOK, TK, Barmer usw.

Du brauchst dazu:

  • Den Namen und die Versichertennummer der betroffenen Person
  • Ein kurzes formloses Schreiben oder du nutzt ein vorgefertigtes Antragsformular, das du auf der Website der Pflegekasse findest

Ein Beispiel für ein formloses Schreiben:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit beantrage ich Leistungen der Pflegeversicherung für meine Mutter, Anna Beispiel, geb. am 01.01.1940, Versicherten-Nr. 123456789. Bitte lassen Sie mir die nötigen Unterlagen zukommen und bestätigen Sie den Eingang dieses Schreibens.

Mit freundlichen Grüßen

Max Beispiel

Wichtig: Du kannst den Antrag auch telefonisch ankündigen – die Pflegekasse schickt dir dann das Formular per Post zu. Trotzdem solltest du den Antrag schriftlich bestätigen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Schritt 3: Warten auf die Begutachtung

Nach Eingang deines Antrags setzt sich die Pflegekasse mit dem Medizinischen Dienst (MD) in Verbindung – dieser organisiert einen Begutachtungstermin. Dabei wird überprüft, wie stark die betreffende Person im Alltag eingeschränkt ist.

Der MD meldet sich schriftlich oder telefonisch und vereinbart einen Termin – entweder zu Hause oder in der Pflegeeinrichtung. Bei privat Versicherten übernimmt Medicproof die Begutachtung.

Die Wartezeit bis zur Begutachtung liegt meist bei 1 bis 3 Wochen.

Tipp: Notiere dir in dieser Zeit möglichst genau, wobei die betroffene Person Hilfe braucht – das ist wichtig für den nächsten Schritt.

Schritt 4: Die Begutachtung – was dich erwartet

Der Besuch des Gutachters ist der wichtigste Moment im gesamten Verfahren. Keine Angst – es geht nicht darum, euch zu testen, sondern realistisch einzuschätzen, wie viel Unterstützung nötig ist.

Der Gutachter beurteilt sechs sogenannte Module:

  1. Mobilität
  2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  4. Selbstversorgung
  5. Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte

Daraus ergibt sich ein Punktewert, der dann dem jeweiligen Pflegegrad zugeordnet wird.

Wichtige Hinweise für den Termin:

  • Sei unbedingt dabei, wenn du kannst!
  • Sprich offen, ehrlich und ohne zu beschönigen
  • Zeige Hilfsmittel, Medikamente und Pflegepläne
  • Mach dir im Vorfeld eine Liste mit Situationen, in denen Hilfe nötig ist

Achtung: Viele Pflegebedürftige möchten sich „zusammenreißen“, wenn fremder Besuch da ist. Versuch, trotzdem ein realistisches Bild zu zeigen.

Schritt 5: Auf den Bescheid warten

Nach dem Gutachterbesuch dauert es in der Regel 2 bis 4 Wochen, bis du einen schriftlichen Bescheid bekommst. Darin steht, welcher Pflegegrad festgestellt wurde – oder ob der Antrag abgelehnt wurde.

Wenn du den Bescheid bekommst, solltest du prüfen:

  • Ist der Pflegegrad realistisch?
  • Sind alle Angaben korrekt?
  • Wurden wichtige Einschränkungen übersehen?

Wenn du mit dem Bescheid nicht einverstanden bist, kannst du innerhalb von einem Monat Widerspruch einlegen (mehr dazu gleich).

Schritt 6: Leistungen beantragen – das kannst du jetzt tun

Sobald der Pflegegrad genehmigt ist, kannst du konkrete Leistungen in Anspruch nehmen. Dazu gehören unter anderem:

  • Pflegegeld (wenn du selbst pflegst)
  • Pflegesachleistungen (z. B. durch Pflegedienste)
  • Entlastungsbetrag (125 Euro/Monat)
  • Verhinderungs- und Kurzzeitpflege
  • Pflegehilfsmittel
  • Wohnraumanpassung

Du musst diese Leistungen meist zusätzlich beantragen – sprich mit deiner Pflegekasse oder einem Pflegestützpunkt. Sie helfen dir dabei.

Tipp: Lass dich ausführlich beraten, welche Kombination für eure Situation am besten passt.

Schritt 7: Widerspruch einlegen – wenn du mit dem Ergebnis nicht einverstanden bist

Wurde der Antrag abgelehnt oder ein zu niedriger Pflegegrad vergeben? Dann darfst – und solltest – du Widerspruch einlegen. Dazu reicht ein formloses Schreiben an die Pflegekasse:

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen den Bescheid vom [Datum] lege ich hiermit Widerspruch ein. Ich bin mit der Einstufung in Pflegegrad 2 nicht einverstanden, da die tatsächliche Pflegebedürftigkeit meines Vaters unterschätzt wurde.

Mit freundlichen Grüßen

Max Beispiel

Anschließend wird der Fall noch einmal überprüft – oft wird ein neues Gutachten erstellt.

Tipp:

  • Hol dir Unterstützung durch Pflegeberater oder Sozialverbände (z. B. VdK, Sozialverband Deutschland)
  • Sammle Belege (z. B. Tagebuch mit Pflegesituationen)
  • Lass dich nicht entmutigen – viele Widersprüche sind erfolgreich

Schritt 8: Regelmäßige Wiederholungsbegutachtung

Ein einmal bewilligter Pflegegrad bleibt nicht für immer bestehen. In regelmäßigen Abständen wird erneut geprüft, ob sich die Situation verändert hat. Das kann bedeuten:

  • Höherstufung bei Verschlechterung
  • Keine Änderung
  • In sehr seltenen Fällen: Herabstufung

Du kannst jederzeit auch selbst einen Antrag auf Höherstufung stellen – z. B. wenn sich der Zustand deines Angehörigen verschlechtert.

Bonus: Pflegeantrag für Kinder – das ist anders

Wenn dein Kind pflegebedürftig ist, läuft das Verfahren ähnlich – aber die Beurteilungskriterien sind angepasst. Wichtig ist:

  • Die Pflegebedürftigkeit muss über das altersübliche Maß hinausgehen
  • Es zählen Entwicklung, Verhalten, Mobilität und Selbstständigkeit
  • Gutachter*innen haben oft eine Spezialisierung auf Kinder

Auch hier gilt: Offen sein, nichts beschönigen, alle Einschränkungen ehrlich darlegen.

Unterstützung holen – du bist nicht allein

Niemand muss diesen Weg alleine gehen. Es gibt zahlreiche Pflegestützpunkte, Beratungsstellen, Sozialverbände und Online-Plattformen, die dich unterstützen:

  • Pflegeberatung der Krankenkasse
  • Pflegestützpunkte vor Ort (kostenlos!)
  • Sozialverbände wie VdK oder SoVD
  • Seniorenbüros
  • Pflegeberatung.de oder compass-pflegeberatung.de (für Privatversicherte)

Auch Apotheken, Hausärzte oder ambulante Dienste sind oft erste Ansprechpartner.

Fazit: Schritt für Schritt ans Ziel

Der Pflegeantrag mag am Anfang wie ein unüberwindbarer Berg wirken – aber mit etwas Struktur und der richtigen Unterstützung ist er machbar. Wichtig ist: Nicht warten, sondern handeln. Je früher du beginnst, desto schneller bekommt dein Angehöriger die Hilfe, die er verdient – und du die Entlastung, die du brauchst.

 

Du musst kein Experte sein – du musst nur den ersten Schritt gehen. Und den hast du mit diesem Artikel bereits gemacht.

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