Es gibt Gespräche, die schiebt man gern vor sich her. Nicht, weil sie unwichtig sind, sondern weil sie unbequem erscheinen. Das Thema „Erbe“ gehört für viele dazu. Auch für mich. Lange Zeit dachte ich: „Das ist ein Thema für später.“ Doch dann wurde mir klar: Wenn ich es nicht selbst anspreche, bleiben am Ende zu viele Fragen offen. Und das kann genau das Gegenteil von dem bewirken, was ich mir wünsche – nämlich Frieden und Zusammenhalt in der Familie. Deshalb habe ich mich entschieden, das Gespräch mit meinen Kindern zu suchen. Und ich erzähle Dir heute, wie ich das gemacht habe – offen, klar und mit viel Herz.
Warum das Thema so sensibel ist
Sobald es ums Erben geht, schwingt mehr mit als nur Vermögen. Es geht um Gerechtigkeit. Um Wertschätzung. Um alte Rollenbilder, Erwartungen und vielleicht auch Verletzungen. Wer bekommt was – und warum? Was ist „gerecht“? Und wie viel Einfluss dürfen Eltern über den Tod hinaus nehmen?
Ich hatte keine Angst vor dem Gespräch. Aber großen Respekt. Denn ich wusste: Wenn ich ehrlich sein will, muss ich auch alte Themen anfassen. Und das braucht Fingerspitzengefühl – und den richtigen Moment.
Der Auslöser: Ein Erlebnis im Bekanntenkreis
Ein befreundetes Ehepaar hatte kürzlich ein Testament gemacht – und es den Kindern nie mitgeteilt. Nach dem Tod gab es Streit. Große Enttäuschungen, Missverständnisse, eine tiefe Spaltung. Ich war fassungslos. Nicht wegen der Inhalte des Testaments – sondern weil niemand je darüber gesprochen hatte. Die Kinder standen buchstäblich im Regen. Und ich dachte: Das darf mir nicht passieren.
Ich wollte, dass meine Kinder wissen, woran sie sind. Nicht, weil es ums Geld geht – sondern weil es um Vertrauen geht. Um das Gefühl, gesehen und berücksichtigt zu werden. Und darum, mit einem reinen Herzen loslassen zu können, wenn es soweit ist.
Vorbereitung: Erst mal selbst sortieren
Bevor ich das Gespräch gesucht habe, habe ich mich hingesetzt und aufgeschrieben, was ich überhaupt vererben kann. Ich habe mir einen Überblick verschafft:
- Welche Vermögenswerte gibt es überhaupt?
- Gibt es Schulden, laufende Verpflichtungen?
- Welche Dinge haben ideellen Wert?
- Was will ich konkret wem hinterlassen – und warum?
Dabei wurde mir klar: Es geht nicht nur ums „Verteilen“, sondern ums „Erklären“. Um die Geschichte dahinter. Warum ich meinem Sohn die alte Geige vermachen möchte. Warum meine Tochter das Haus erben soll. Und warum ich meinem Patenkind eine kleine Rücklage vermache. Jeder dieser Punkte hat eine Geschichte – und ich wollte sie erzählen, bevor andere darüber rätseln müssen.
Den richtigen Moment finden
Ich habe keinen „offiziellen Termin“ angesetzt, sondern ein Wochenende genutzt, an dem beide Kinder ohnehin zu Besuch waren. Wir saßen beim Frühstück, lachten viel, und dann sagte ich: „Ich habe ein Thema, das mir am Herzen liegt. Es ist vielleicht nicht ganz leicht, aber ich würde gern mit Euch darüber sprechen.“
Die Reaktionen waren unterschiedlich: Mein Sohn wirkte gleich interessiert, meine Tochter wurde zunächst still. Aber beide hörten zu. Und das war der wichtigste Schritt.
Wie ich das Gespräch geführt habe
Ich habe mit einer klaren Botschaft begonnen: Dass es mir nicht ums Geld geht. Sondern darum, Missverständnisse zu vermeiden. Ich habe gesagt:
„Ich habe ein Testament gemacht. Und ich möchte, dass Ihr beide genau wisst, was ich mir dabei gedacht habe. Ich will, dass Ihr Euch verstanden fühlt – und vorbereitet.“
Dann habe ich Schritt für Schritt erklärt:
- Was in meinem Testament steht.
- Wer was erben soll – und warum.
- Dass ich nicht alles gleich verteile, weil ich Eure Lebenssituationen kenne.
- Dass es auch Dinge gibt, die ideellen Wert haben – und nicht mit Geld zu messen sind.
Ich habe auch erklärt, dass ich nichts in Stein gemeißelt habe. Dass ich bereit bin, zuzuhören – und dass ich jederzeit Änderungen vornehmen kann, wenn es sinnvoll erscheint.
Was gut funktioniert hat
- Ich habe Fragen zugelassen. Meine Tochter wollte wissen, warum das Haus nur an sie geht. Ich konnte ihr erklären, dass mein Sohn bereits ein eigenes hat – und dass ich es gerecht finde, auch wenn es nicht gleich ist.
- Ich habe nicht belehrt. Ich habe meine Gedanken erklärt – aber nicht versucht, mich zu rechtfertigen.
- Ich habe auch über Gefühle gesprochen. Wie schwer mir das Thema fällt. Dass ich nicht weiß, wann der richtige Moment ist – aber dass ich den Mut aufbringen wollte.
Welche Reaktionen ich bekommen habe
Mein Sohn war dankbar. Er sagte, dass er es gut findet, vorbereitet zu sein. Dass er es als Zeichen von Vertrauen empfindet. Meine Tochter war zunächst zögerlich – aber im Laufe des Gesprächs wurde sie offener. Am Ende sagte sie: „Ich weiß jetzt wenigstens, wie Du denkst. Und das hilft.“
Es flossen auch ein paar Tränen. Aber es war kein trauriges Gespräch. Im Gegenteil – es war voller Nähe. Und ich hatte das Gefühl: Wir sind uns nähergekommen. Gerade weil wir das Thema so oft meiden.
Was ich ihnen mitgeben wollte
Ich habe ihnen gesagt:
„Ich gebe Euch mit, was ich kann – und ich tue das in Liebe. Ich vertraue darauf, dass Ihr damit verantwortungsvoll umgeht. Und ich hoffe, dass es Euch ein bisschen Halt gibt, wenn ich einmal nicht mehr da bin.“
Ich habe auch offen gesagt, dass ich sie nicht kontrollieren will. Dass es mir wichtig ist, dass sie selbst entscheiden, wie sie mit dem Erbe umgehen. Ob sie Dinge behalten, verkaufen oder spenden – das ist ihre Sache. Meine Aufgabe ist es nur, dafür einen fairen Rahmen zu schaffen.
Warum es sich gelohnt hat
Seit diesem Gespräch ist bei mir etwas anders. Ich fühle mich erleichtert. Ich weiß, dass keine bösen Überraschungen kommen werden. Dass meine Kinder informiert sind. Dass sie gehört haben, was ich mir wünsche. Und dass sie wissen, dass ich ihnen vertraue.
Auch meine Kinder haben danach noch einmal untereinander gesprochen. Und ich glaube, auch das hat gutgetan. Es gibt keine offenen Fragen mehr. Keine stillen Erwartungen. Kein unausgesprochenes „Warum hat sie das so gemacht?“
Mein Fazit: Das Gespräch ist ein Geschenk
Viele Menschen vermeiden es, mit ihren Kindern über das Erbe zu sprechen. Aus Angst, dass es gierig wirkt. Oder dass Streit entsteht. Oder weil es zu sehr an den Tod erinnert. Aber ich sage: Es ist genau umgekehrt.
Ein ehrliches Gespräch über das Erbe ist ein Zeichen von Nähe. Von Vertrauen. Von dem Wunsch, auch nach dem eigenen Leben für Frieden zu sorgen.
Es hat Mut gebraucht – ja. Aber es hat sich mehr als gelohnt. Und ich bin froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin.
Mein Tipp an Dich
Wenn Du darüber nachdenkst, wie Du Dein Erbe regeln willst: Sprich darüber. Nicht irgendwann – sondern bald. Deine Kinder verdienen Klarheit. Und Du verdienst die Ruhe, zu wissen, dass alles gesagt ist.
Mach es in Deinem Tempo. In Deinen Worten. Mit Deinem Herzen. Und Du wirst merken: Es befreit.