Es gibt Begegnungen im Leben, die verändern etwas in einem. Sie stellen Gewohntes infrage, lassen uns über uns selbst hinauswachsen – und zeigen uns, wie weit unser Herz wirklich reicht. Für mich war eine solche Begegnung der Moment, als ich Bonus-Oma wurde. Keine klassische Oma, nicht biologisch verwandt, aber dennoch von Herzen verbunden. In diesem Artikel erzähle ich von meinem Weg dorthin – ehrlich, liebevoll und hoffentlich ermutigend für alle, die sich in einer ähnlichen Situation wiederfinden.
Was bedeutet eigentlich „Bonus-Enkel“?
Früher kannte ich den Begriff gar nicht. Enkel waren für mich die Kinder meiner Kinder – Punkt. Doch als meine Tochter sich neu verliebte, brachte ihr Partner nicht nur ein Lächeln mit, sondern auch zwei Kinder aus einer früheren Beziehung. Zwei Kinder, die plötzlich in meinem Leben standen. Nicht „meine“, nicht von mir erwartet – aber ganz real, ganz lebendig und mit offenen Augen, die fragten: „Und wer bist du?“
Bonus-Enkel also. Ein schönes Wort, finde ich inzwischen. Denn es bedeutet: Da kommt etwas dazu. Kein Ersatz, kein Kompromiss – sondern ein Geschenk obendrauf.
Die ersten Schritte – zwischen Zurückhaltung und Neugier
Ich erinnere mich noch gut an das erste Treffen. Wir trafen uns zum Sonntagskaffee bei meiner Tochter. Ich hatte extra Kinderkekse gebacken, Spielzeug aus dem Keller geholt und mein freundlichstes Lächeln aufgesetzt. Und dann saßen da diese zwei Kinder – eines verschlossener, das andere quirlig und laut – und ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.
Ich wollte alles richtig machen. Nicht aufdringlich sein, aber auch nicht kühl. Ich wollte Nähe zeigen, ohne zu viel zu wollen. Eine echte Gratwanderung. Und ich merkte schnell: Es geht nicht um mich. Es geht darum, Raum zu lassen. Vertrauen braucht Zeit. Und Kinder spüren ganz genau, wenn jemand ihnen etwas vorspielt.
Also begann ich, einfach da zu sein. Zuhören, mitmachen, nicht bewerten. Und siehe da: Mit jedem Treffen wurde es ein bisschen vertrauter. Ein kleiner Blick, ein schüchternes Lächeln, später ein „Kannst du mir das zeigen?“ – das waren meine Meilensteine.
Die eigene Rolle finden – und loslassen, was man erwartet hat
Ich hatte viele Vorstellungen davon, wie das Leben als Oma aussehen würde. Ich dachte an Babyduft, an gemeinsame Spaziergänge, an Kindergeburtstage, bei denen ich der Star am Kuchenbuffet bin. Ich hatte sogar schon ein altes Puppengeschirr auf dem Speicher, das ich vererben wollte.
Aber das war ein anderes Leben. Stattdessen kam etwas Neues. Keine klassischen Rituale, keine gemeinsamen Urlaube vom ersten Tag an. Dafür viele Gespräche darüber, was wer mag – und was nicht. Ich musste loslassen. Loslassen von meinem Idealbild, von festen Erwartungen. Und das war gar nicht so leicht.
Doch genau in diesem Loslassen passierte etwas Wunderbares. Ich wurde offen. Für neue Formen von Nähe. Für spontane Momente, die nicht planbar sind. Für ein Kinderlachen, das nicht mein Blut, aber mein Herz erreichte.
Kleine Gesten, große Wirkung
Es sind die kleinen Dinge, die zählen. Eine gemalte Karte mit einem „Für dich“. Ein Keks, der extra für mich aufgehoben wurde. Ein „Oma Martina, kommst du mit raus?“ – ganz selbstverständlich. Solche Gesten zeigen: Die Verbindung ist da. Sie wächst. Und sie ist echt.
Ich habe gelernt, diese kleinen Momente zu feiern. Sie nicht mit alten Maßstäben zu messen, sondern sie für das zu nehmen, was sie sind: Brücken. Zeichen von Vertrauen. Und manchmal auch Liebeserklärungen ohne große Worte.
Was passiert mit den „eigenen“ Enkeln?
Diese Frage hat mich lange beschäftigt. Denn ja – irgendwann kamen auch meine „leiblichen“ Enkel dazu. Und plötzlich war da eine ganz neue Herausforderung: Balance halten. Niemanden benachteiligen. Niemanden bevorzugen.
Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich mit dieser Vielfalt umgehe. Und ich habe gemerkt: Es geht nicht um Gleichbehandlung, sondern um Gerechtigkeit. Jedes Kind bekommt, was es braucht – auf seine eigene Art. Ich darf individuell lieben. Und das ist kein Verrat – sondern eine Form von Wahrhaftigkeit.
Meine „eigenen“ Enkel wissen: Sie haben einen festen Platz in meinem Herzen. Und meine Bonus-Enkel wissen: Sie auch. Es ist kein Entweder-oder. Es ist ein Sowohl-als-auch. Und genau das macht Familie heute oft aus.
Wenn das Umfeld nicht mitzieht
„Aber das sind doch nicht deine richtigen Enkel!“ – diesen Satz habe ich mehr als einmal gehört. Von Bekannten, von Verwandten, manchmal auch nur als Blick. Und ja – er hat mich getroffen.
Ich habe gelernt, mir meine Definition von Familie nicht nehmen zu lassen. Wer mir wichtig ist, wer zu meinem Leben gehört – das bestimme ich. Nicht die Gene, nicht die Nachbarn und auch nicht die Kommentare aus dem Kaffeekränzchen.
Oft braucht es Mut, gegen Konventionen zu stehen. Aber dieser Mut lohnt sich. Denn am Ende zählt nicht, wer was denkt – sondern was man fühlt.
Was ich durch meine Bonus-Enkel gelernt habe
Ich habe gelernt, dass Liebe wachsen kann – auch da, wo man sie nicht gesucht hat. Ich habe gelernt, geduldig zu sein. Mich zurückzunehmen. Und manchmal einfach nur zuzuhören, ohne gleich helfen zu wollen.
Ich habe durch meine Bonus-Enkel eine neue Form von Großzügigkeit entdeckt. Nicht nur im Materiellen, sondern im Herz. Ich habe gemerkt, dass ich nicht perfekt sein muss – sondern einfach nur echt.
Und ich habe etwas ganz Wesentliches verstanden: Familie ist nicht (nur) das, worin man hineingeboren wird. Familie ist das, was man miteinander aufbaut. Tag für Tag, Blick für Blick, Lächeln für Lächeln.
Mein Rat an andere Omas (und Opas!)
Wenn du selbst Bonus-Enkel in dein Leben bekommen hast – oder bekommst –, dann möchte ich dir von Herzen sagen:
- Lass dir Zeit. Nähe lässt sich nicht erzwingen.
- Bleib offen. Auch wenn der Anfang ungewohnt ist – es kann wunderschön werden.
- Hör auf dein Herz. Es kennt den Weg, auch wenn der Kopf manchmal zweifelt.
- Vergleiche nicht. Weder dich noch die Kinder. Jeder Mensch ist einzigartig.
- Feiere kleine Fortschritte. Sie sind die Bausteine für echte Verbindung.
Und vor allem: Hab keine Angst, dein Herz zu öffnen. Es kann mehr tragen, als du denkst.
Mein Fazit
Heute bin ich eine glückliche Bonus-Oma. Nicht, weil alles perfekt ist – sondern weil ich losgelassen habe, was ich dachte, wie es sein muss. Ich habe Platz gemacht für das, was wirklich ist. Und das ist oft viel schöner, als ich es mir je ausgemalt hätte.
Ich sehe meine Bonus-Enkel nicht als zweite Wahl. Ich sehe sie als Geschenk. Als neue Farben auf meiner Lebenspalette. Als Zeichen dafür, dass das Leben voller Überraschungen steckt – wenn wir bereit sind, sie anzunehmen.
Liebe ist keine Frage der Gene. Sie ist eine Entscheidung. Und ich habe sie getroffen – mit offenem Herzen, mit Freude, mit Dankbarkeit.