Familie & BeziehungenKontakt zu (Schwieger-)KindernWie ich gelernt habe, meine erwachsenen Kinder loszulassen

Wie ich gelernt habe, meine erwachsenen Kinder loszulassen

Ein persönlicher Weg zwischen Herz, Vertrauen und einem neuen Familiengefühl

Es war ein ganz normaler Nachmittag, als mir klar wurde: Mein Sohn braucht mich nicht mehr so, wie früher. Nicht, weil er mich nicht liebt. Sondern, weil er erwachsen geworden ist. Und plötzlich stand ich da mit einem Gefühl, das ich nicht ganz einordnen konnte: Stolz, ja. Aber auch eine tiefe Traurigkeit. Ein leises Ziehen im Herzen. Und eine Frage, die mich nicht mehr losließ: Wie lasse ich los, ohne mich selbst zu verlieren?

Wenn das Kind erwachsen wird – und das Herz nicht mitkommt

Die ersten Jahre vergehen im Flug. Windeln, Schulranzen, erste Liebe. Man ist immer dabei. Mal mehr, mal weniger sichtbar, aber immer da. Und dann kommt der Moment, den man irgendwo erwartet hat, aber auf den man nie wirklich vorbereitet ist: Das Kind ist erwachsen. Hat eigene Pläne, eigene Wege, eigene Fehler. Und man merkt, dass man langsam vom Spielfeldrand aus zuschaut – und nicht mehr mitten im Spiel steht.

 

Diese Umstellung hat nicht nur das Leben meines Sohnes verändert – auch meins hat sich neu sortieren müssen. Plötzlich war da mehr Stille im Haus. Keine spontanen Gespräche mehr über das Abendessen oder den Schulalltag. Kein vertrautes Türenschlagen. Stattdessen WhatsApp-Nachrichten, kurze Anrufe, Besuch am Wochenende. Es war eine neue Form der Nähe, an die ich mich erst gewöhnen musste.

Was mir besonders auffiel: Ich hatte plötzlich Zeit, über Dinge nachzudenken, für die vorher nie Raum war. Wer bin ich, wenn ich nicht mehr in der aktiven Mutterrolle bin? Was erfüllt mich? Diese Fragen haben mich erst verunsichert – aber sie waren auch der Anfang von etwas Neuem.

Loslassen ist kein Verlassen

Was ich lernen musste: Loslassen heißt nicht, sich zu entfernen. Es bedeutet, dem anderen Raum zu geben, ohne ihn aus dem Blick zu verlieren. Ich habe gemerkt, dass meine Kinder mich nicht weniger brauchen – nur anders. Nicht mehr als Lösungsfinderin, sondern als Zuhörerin. Nicht mehr als Beschützerin, sondern als Rückhalt. Und ja, auch als jemand, der schweigen kann, wenn es angebracht ist.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meiner Tochter. Sie war unzufrieden im Job, fühlte sich unterfordert. Früher hätte ich sofort Ideen gehabt, wie sie das ändern könnte. Diesmal habe ich einfach nur gefragt: „Was brauchst du?“ Und dann habe ich zugehört. Nichts gesagt. Nur zugehört. Am Ende meinte sie: „Danke, dass du nicht sofort was sagen wolltest. Ich musste es einfach mal laut aussprechen.“

Manchmal ist Zuhören ein größerer Liebesbeweis als jeder gut gemeinte Rat. Gerade wenn Kinder sich in Übergangsphasen befinden – der erste richtige Job, eine zerbrochene Beziehung oder die Entscheidung für ein neues Lebensmodell – dann ist es wichtiger, Vertrauen auszustrahlen als Lösungen zu liefern.

Die Kunst, den Rat für sich zu behalten

Oh, wie oft wollte ich eingreifen. Einmischen. Ratschläge geben. „Ich würde das anders machen!“ Aber genau das war der Punkt: Ich würde. Meine Kinder aber wollen eigene Erfahrungen machen. Fehler inklusive. Und das auszuhalten – das war schwer. Ich musste lernen, dass mein Weg nicht der einzige ist. Und dass es okay ist, wenn sie anders entscheiden.

Besonders herausfordernd war das in Liebesdingen. Wenn ich spürte, dass da etwas nicht stimmte – aber sie wollten es noch nicht sehen. Da ging es um Geduld. Um Vertrauen darauf, dass sie ihren Weg finden. Und dass mein Rat irgendwann gefragt sein wird – nur eben nicht sofort.

Ich erinnere mich noch an den Moment, als meine Tochter ihre erste eigene Wohnung bezog. Ich hatte so viele Gedanken zu Einrichtung, Sicherheit, Verträgen – aber ich habe nur gefragt: „Willst du, dass ich mitkomme beim Möbelkauf?“ Ihre Antwort: „Nur, wenn du Lust hast – nicht, weil du meinst, du musst.“ Und genau das war der Wendepunkt. Ich durfte dabei sein, wenn sie es wollte – nicht, weil sie es brauchte.

Vertrauen statt Kontrolle

Der Wunsch, alles zu überblicken, alles zu wissen, war groß. Besonders in Zeiten, in denen ich spürte, dass es ihnen nicht gut ging. Aber ich habe gelernt, Vertrauen zu haben. Vertrauen darauf, dass wir ihnen genug mitgegeben haben. Dass sie wissen, wo wir sind, wenn sie uns brauchen. Und dass Liebe auch dann da ist, wenn man nicht täglich miteinander spricht.

Heute ist unser Verhältnis viel entspannter. Wir müssen nicht mehr jeden Tag telefonieren. Es reicht zu wissen, dass der andere da ist. Und wenn wir dann sprechen, ist es umso intensiver. Mit echtem Interesse, echten Themen und dem ehrlichen Gefühl: Wir sind füreinander da.

Ich glaube, das größte Geschenk, das wir unseren Kindern machen können, ist Vertrauen. Nicht das blinde Vertrauen, dass sie immer alles richtig machen. Sondern das tiefe Vertrauen, dass sie ihren Weg finden – mit Umwegen, mit Zweifeln, mit Kraft. Und dass sie zu uns kommen, wenn sie es wollen.

Loslassen als Geschenk

Rückblickend war das Loslassen auch ein Geschenk. Ich habe neue Seiten an mir entdeckt. Neue Freiräume. Und ich habe gespürt, wie unsere Beziehung sich verändert hat: weg von der klassischen Eltern-Kind-Dynamik hin zu einem echten Miteinander. Auf Augenhöhe. Mit gegenseitigem Respekt.

Ich habe Hobbys wiederentdeckt. Bin zum Töpfern gegangen, mache kleine Ausflüge mit Freundinnen. Mein Kalender ist nicht mehr von Schulzeiten oder Kinderarztterminen bestimmt, sondern von meinen eigenen Interessen. Und das fühlt sich gut an – ja sogar befreiend.

Außerdem habe ich Zeit gefunden, mich mit meiner eigenen Biografie zu beschäftigen. Tagebuch schreiben, alte Briefe lesen, kleine Geschichten aus meiner Kindheit aufschreiben – das alles hat mir geholfen, meinen eigenen Platz neu zu definieren. Loslassen heißt nicht nur, Platz für die Kinder zu schaffen – sondern auch für sich selbst.

Wenn Schweigen mehr sagt als Worte

Es gab Momente, in denen ich lieber geschwiegen habe, obwohl mein Herz fast geplatzt ist. In denen ich loslassen musste, um die Verbindung nicht zu verlieren. Denn Druck erzeugt Gegendruck. Und Loslassen bedeutet manchmal, einfach da zu sein – still, aber präsent.

So war es auch, als mein Sohn sich entschied, in eine andere Stadt zu ziehen. Ich hätte tausend Gründe gehabt, warum das keine gute Idee war. Aber ich habe nichts davon ausgesprochen. Stattdessen habe ich geholfen beim Kistenpacken. Habe ihm ein belegtes Brötchen für die Fahrt mitgegeben. Und als ich ihn umarmt habe, habe ich gesagt: „Ich bin stolz auf dich.“

Manchmal habe ich ihn dann wochenlang nicht gehört. Keine Nachricht, kein Anruf. Früher hätte mich das nervös gemacht. Heute weiß ich: Er lebt sein Leben. Und wenn er etwas braucht – dann meldet er sich. Dieses Vertrauen musste ich lernen. Es ist nicht immer leicht. Aber es macht stark.

Neue Rituale für neue Zeiten

Was mir geholfen hat? Kleine Rituale. Gemeinsames Kochen, Spaziergänge, gelegentliche Nachrichten. Nicht aufdringlich, aber herzlich. Ich habe gelernt, dass Nähe auch mit Abstand funktionieren kann. Und dass Beziehung immer wieder neu erfunden werden darf.

Mittlerweile haben wir einen festen Kaffeetermin am Sonntag – manchmal persönlich, manchmal per Video. Wir tauschen Rezepte aus. Oder Buchtipps. Manchmal lachen wir über alte Familienfotos. Diese kleinen Inseln der Nähe sind wertvoller denn je.

Einmal im Monat schreibe ich jedem Kind einen Brief. Ganz altmodisch. Kein Drama, keine großen Worte – einfach ein paar Gedanken, Erinnerungen, Wünsche. Und oft bekomme ich darauf eine kleine Nachricht zurück. Manchmal mit einem Foto, manchmal nur ein Emoji. Aber ich weiß: Es kommt an.

Was sich verändert hat – und was bleibt

Ich bin nicht mehr die Löwin, die schützend vor ihren Jungen steht. Ich bin eher der sichere Ort, zu dem sie zurückkehren können. Wenn sie wollen. Und das ist okay. Ich habe meine Rolle gefunden. Eine neue. Eine ruhigere. Aber nicht weniger wichtige.

Ich bin nicht mehr rund um die Uhr verfügbar – und das ist in Ordnung. Denn ich bin da, wenn es zählt. Und meine Kinder wissen das. Das Vertrauen, das wir uns aufgebaut haben, ist das stärkste Band überhaupt.

Und manchmal, ganz unerwartet, kommt ein Moment, der mir zeigt, wie stark dieses Band ist. Wenn meine Tochter mich fragt, ob ich mit ihr ein paar Tage verreisen möchte. Oder mein Sohn mich bittet, sein Lieblingsgericht zu kochen, wenn er zu Besuch kommt. Diese Gesten sind klein – aber sie bedeuten alles.

Fazit: Loslassen ist auch Selbstliebe

Loslassen heißt auch, sich selbst wieder mehr Raum zu geben. Eigene Interessen, eigene Wege, eigene Freude. Es tut weh, ja. Aber es macht auch frei. Und es lässt Platz für eine neue, reifere Beziehung zu unseren Kindern. Eine, die nicht auf Kontrolle basiert, sondern auf Vertrauen und Liebe.

 

Vielleicht ist das die größte Lektion: Dass unsere Kinder nicht weniger Teil unseres Lebens sind, nur weil sie ihr eigenes leben. Sie sind anders Teil davon. Und das reicht.

Loslassen heißt nicht, weniger zu lieben. Es heißt, anders zu lieben. Erwachsener. Freier. Tiefer. Und vielleicht ist genau das der schönste Beweis dafür, dass man als Mutter nicht weniger wird – sondern mehr.

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