Es gibt Themen, die wir nur ungern anpacken. Sie wirken schwer, düster, manchmal sogar beängstigend. Die Patientenverfügung ist so ein Thema. Auch ich habe sie lange vor mir hergeschoben – zu unbequem, zu endgültig. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich begriff: Wenn ich wirklich selbstbestimmt leben will, dann muss ich auch für den Fall vorsorgen, dass ich es nicht mehr kann. Das war der Moment, in dem ich anfing, meine Patientenverfügung zu schreiben. Es war nicht leicht, aber es war wichtig. Was genau ich dort festgehalten habe? Ich nehme Dich mit – Schritt für Schritt, mit offenem Herzen und ehrlichen Worten.
Warum ich eine Patientenverfügung brauche – und Du vielleicht auch
Niemand stellt sich gern vor, plötzlich schwer krank oder bewusstlos zu sein. Aber genau dann ist eine Patientenverfügung Gold wert. Sie macht meinen Willen sichtbar – für Ärztinnen, Ärzte, Pflegekräfte und meine Familie. Ich will nicht, dass meine Liebsten irgendwann vor der Frage stehen: „Was hätte sie gewollt?“ Diese Last wollte ich ihnen abnehmen. Gleichzeitig gibt mir dieses Dokument ein Gefühl von Sicherheit. Es ist mein Schutzschild in Situationen, in denen ich sonst ausgeliefert wäre.
Und ganz ehrlich: Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto mehr habe ich verstanden, wie viele Fragen ungeklärt bleiben, wenn man sich nicht kümmert. Wer entscheidet im Notfall? Was ist, wenn Angehörige sich uneinig sind? Wer darf überhaupt Auskunft bekommen? All diese Fragen beantwortet meine Patientenverfügung – ganz in meinem Sinne.
Der Weg dorthin: Kein einfacher, aber ein nötiger
Es war ein Prozess, der Zeit brauchte. Ich habe nicht einfach eine Vorlage ausgefüllt und unterschrieben. Ich habe gelesen, nachgefragt, Gespräche geführt. Ich war bei meiner Hausärztin, habe mich mit einer ehrenamtlichen Beraterin im Hospiz unterhalten und mit meiner Tochter gesprochen. Ich habe mir verschiedene Muster angeschaut – von Ministerien, Kirchen, Verbänden. Aber am Ende war klar: So individuell wie mein Leben ist auch mein Wille. Und genau das muss sich in meiner Verfügung widerspiegeln.
Es gab auch emotionale Momente. Erinnerungen an eigene Krankenhausaufenthalte. Gedanken an meine Eltern, die selbst in Grenzsituationen waren. Ich habe mich gefragt: Was hat ihnen gefehlt? Was hätte ihnen geholfen? Und was hätte ich mir in ihrer Lage gewünscht? Diese Fragen waren mein innerer Kompass.
Der Aufbau meiner Patientenverfügung
Meine Patientenverfügung ist kein Roman, aber sie erzählt trotzdem viel über mich. Sie ist klar gegliedert, verständlich formuliert – ohne juristische Fremdwörter. Ich habe darauf geachtet, dass alles gut lesbar ist, damit auch Menschen ohne medizinisches Wissen nachvollziehen können, was ich meine. Denn im Ernstfall bleibt keine Zeit für Interpretationen.
1. Allgemeine Einleitung
Hier habe ich meinen grundsätzlichen Willen formuliert: Dass ich in medizinischen Ausnahmesituationen selbstbestimmt bleiben will. Dass mein Wille in dieser Verfügung festgehalten ist und beachtet werden muss. Ich habe klargestellt, dass es um mein persönliches Lebensende geht – nicht um starre Regeln, sondern um meine Haltung.
2. Medizinische Maßnahmen, die ich ablehne
Ich habe deutlich gemacht, dass ich bestimmte Maßnahmen ablehne, wenn keine Aussicht mehr auf ein bewusstes, selbstbestimmtes Leben besteht. Dazu zählen:
- Künstliche Beatmung, wenn mein Gehirn irreversibel geschädigt ist,
- Künstliche Ernährung, wenn sie nur das Sterben verlängert,
- Reanimation, wenn keine realistische Chance besteht, wieder bei Bewusstsein zu kommen.
Ich möchte in solchen Situationen nicht an Maschinen hängen. Ich möchte in Frieden loslassen dürfen – begleitet, aber nicht am Leben gehalten gegen meinen Willen.
3. Maßnahmen, die ich ausdrücklich wünsche
Gleichzeitig habe ich auch festgehalten, was ich mir wünsche: Palliativmedizin. Schmerzlinderung. Ein würdevoller Umgang. Ich habe geschrieben, dass ich bereit bin, mögliche Nebenwirkungen starker Medikamente – wie eine Verkürzung des Lebens – in Kauf zu nehmen, wenn dafür meine Schmerzen gelindert werden. Denn für mich zählt die Lebensqualität – nicht die Länge.
4. Organspende
Ich habe mich nach reiflicher Überlegung für die Organspende entschieden. Ja, das war kein leichter Schritt. Ich habe mich mit meiner Familie darüber ausgetauscht, Fragen geklärt, Ängste benannt. Aber letztlich ist es für mich ein Akt der Nächstenliebe. Und ich habe klargestellt: Wenn ich keine Aussicht mehr auf Heilung habe, dürfen meine Organe gern einem anderen Menschen helfen.
5. Umgang mit Demenz
Dieses Kapitel hat mich am meisten bewegt. Ich habe es mehrfach überarbeitet, weil es so schwer greifbar ist. Am Ende habe ich für mich festgelegt: Sollte ich an Demenz erkranken und nicht mehr wissen, wer ich bin oder wer meine Familie ist, dann wünsche ich mir keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr. Ich möchte nicht künstlich am Leben gehalten werden, wenn mein Geist nicht mehr anwesend ist.
6. Wünsche zur Pflege
Pflege ist mehr als Versorgung – sie ist ein Stück Zuhause. Ich habe meine Wünsche detailliert beschrieben: Ich wünsche mir Ruhe, eine vertraute Umgebung, möglichst wenig Hektik. Ich habe aufgeschrieben, dass Musik mir guttut – besonders klassische Musik und alte Volkslieder. Ich wünsche mir frische Blumen im Zimmer, wenn möglich. Und ich hätte gern ein Haustier in der Nähe – selbst wenn es nur ein Besuchshund ist. Diese kleinen Dinge bedeuten für mich Würde.
7. Wer entscheiden darf, wenn Fragen offen sind
Ich habe meine Tochter als meine Vertrauensperson eingesetzt. Sie kennt mich, meine Werte, meine Sicht auf das Leben – und auf das Sterben. Wir haben viele Gespräche geführt, manchmal auch sehr emotionale. Ich weiß, dass sie meine Entscheidungen respektieren wird. Ihre Rolle ist auch rechtlich abgesichert durch eine umfassende Vorsorgevollmacht.
Die Bedeutung von klaren Worten – und warum ich sie gewählt habe
Wenn Worte fehlen, entsteht Unsicherheit. Deshalb habe ich bewusst klare, eindeutige Formulierungen gewählt. Ich habe mich gegen schwammige Begriffe wie „nach Möglichkeit“ oder „wenn es zumutbar ist“ entschieden. Stattdessen steht da: „Ich lehne ab…“, „Ich wünsche ausdrücklich…“, „Ich bestehe darauf…“ Diese Klarheit schützt meinen Willen – und gibt anderen Sicherheit im Umgang mit mir.
Ich habe auch geprüft, wie meine Aussagen rechtlich formuliert sein müssen, damit sie wirklich bindend sind. Das war mir wichtig. Denn eine Patientenverfügung nützt nichts, wenn sie im Ernstfall nicht ernst genommen wird.
Was ich bei der Erstellung gelernt habe
Diese Reise zu mir selbst hat mir viel beigebracht:
- Es geht nicht nur ums Sterben, sondern ums Leben – mit Haltung.
- Offenheit schafft Vertrauen – in der Familie und gegenüber Ärztinnen.
- Jeder Mensch hat andere Grenzen – und das ist völlig in Ordnung.
- Gefühle dürfen sein – auch Unsicherheit, Angst und Zweifel.
- Am Ende zählt: Du hast entschieden. Du hast vorgesorgt.
Ich habe gelernt, dass Fürsorge nicht aufhört, wenn man schwach ist. Sie fängt da erst richtig an – mit Worten, die bleiben.
Warum ich jetzt ruhiger schlafe
Seitdem meine Patientenverfügung unterschrieben ist, habe ich ein gutes Gefühl. Ich habe Verantwortung übernommen. Ich habe meinem Umfeld ein Stück Last abgenommen. Ich weiß, dass mein Wille auch dann zählt, wenn ich ihn nicht mehr äußern kann. Und das beruhigt. Es lässt mich gelassener auf das blicken, was kommt – egal wann. Denn ich weiß: Ich habe entschieden. Für mich. Und für meine Lieben.
Ein Appell an Dich
Wenn Du bis hierhin gelesen hast, dann danke ich Dir. Und ich ermutige Dich: Warte nicht zu lange. Sprich mit Deinen Kindern, Deiner Hausärztin, Deinen Freunden. Frag nach, lies nach, hör auf Dein Gefühl.
Deine Patientenverfügung muss nicht perfekt sein – sie muss Deine sein. Sie darf wachsen, sich verändern, angepasst werden. Aber fang an. Heute. Jetzt. Es ist ein Geschenk – an Dich selbst und an die Menschen, die Dich lieben.